Wie in allen großen Weltreligionen gibt es auch im Buddhismus zahlreiche Schulen und Richtungen. Im Wesentlichen geht es dabei um die „Gefährte“ – also um die Hilfsmittel und Einstellungen, mit denen man die Erleuchtung erlangt – oder erlangen kann. Der Theravada Weg – übersetzt etwa der Weg der Ältesten – ist dabei jene Richtung, die sich noch am engsten an die Lehren Buddhas anlehnt, ohne sie verändern zu wollen, während gerade der Mahayana Weg im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Veränderungen und Erweiterungen eingeführt hat. Hier werden die großen Unterschiede im Buddhismus deutlich.
Theravada und Mahayana
Die grundlegende Zielsetzung, nämlich die Erlangung des Nibbana, das Verlöschen aller Begierde und das wahrhafte innere Erkennen der „großen Leere“ ist sowohl im Theravada als auch im Mahayana die gleiche.
Der Mahayana fügt dem aber noch eine weitere, wichtige Dimension dazu:
- Während der Theravada Weg vor allem auf das Individuum selbst gerichtet ist, das Erkennen soll, geht es beim Mahayana auch um die Erlösung aller lebenden und fühlenden Wesen.
- Hier werden also die Boddhisattva-Tugenden und die Werte wie Metta (Güte) und Mitgefühl sehr viel stärker betont.
- Im Theravada entstehen diese Einstellungen eher von selbst aus dem zunehmenden Verstehen der Dinge – im Mahayana werden sie explizit entwickelt.
- Entstanden sind diese beiden sich in ihrem Vorgehen sehr stark unterscheidenden Richtungen schon wenige hundert Jahre nach Buddhas Tod
Sie waren – wenigstens als Schule – immer schon unvereinbar miteinander, wiewohl der tibetische Buddhismus, der keiner der beiden Richtungen zuzurechnen ist, diesen unvereinbaren Gegensatz auf sehr buddhistische Weise wahrnimmt: Es ist lediglich die persönliche Motivation des Schülers, sich der einen oder der anderen Seite zuzuneigen, in Wahrheit hat das gewählte Gefährt aber keine Bedeutung für die Erlangung der Erleuchtung – nur auf sie kommt es letztendlich an. Das deckt sich auch mit Buddhas weiser Lehre, dass es so viele Wege wie Schüler gibt – und dass im Grunde keine festgesetzte „richtige“ Lehre existieren kann. Jeder Weg ist einzigartig, so wie jeder Mensch einzigartig ist. Unter diesem Gesichtspunkt sollte man die verschiedenen buddhistischen Schulen auch immer betrachten.
Strenge Beschränkung auf die originale Lehre
Anders als in anderen buddhistischen Richtungen wird im Theravada nur die Tipitaka anerkannt – eine Sammlung von ursprünglich aufgezeichneten Lehrreden des Buddha, und eine schriftliche Zusammenfassung der Ordensregeln für die Gemeinschaft, die ebenfalls auf die frühesten mündlichen Überlieferungen zurückgeht. Dieses Schriftwerk wird oftmals auch als der Pali-Kanon bezeichnet. Andere Schriften und Auslegungen weist der Theravada Weg dabei zurück.
Die Möglichkeiten anderen zur Erleuchtung zu verhelfen im Theravada
Der Theravada kennt nur drei sehr schlicht gezeichnete, grundlegende Typen von Lehrern, die anderen auf dem Weg zum Erlangen der Erleuchtung helfen können: einerseits den Schüler, der mithilfe eines Lehrers zur Erleuchtung gelangt – das ist der Savaka-Bodhi, der durch seine Erleuchtung zum Arahat wird und aufgrund seiner vielfältigen eigenen Erfahrungen auf dem Weg und durch die Bewältigung der eigenen Schwierigkeiten ein sehr guter und einfühlsamer Lehrer sein kann. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die ohne Unterweisung praktisch „selbst erwacht“ sind – der Pratyeka Buddha, der nur dann auftritt, wenn die Lehre, das Dhamma, verloren ist, und der Samma Sambuddha, der die höchste Form der umfassenden Erleuchtung aus eigener Kraft darstellt – er ist ein sehr fähiger Lehrer und eine hohe Autorität. Wie in vielem im Buddhismus sind das aber wiederum lediglich Beschreibungen, die keinen abstufenden Wert haben, und keine „Rangfolge“ begründen, wie wir sie verstehen.
Die unterschiedlichen Auffassungen über Boddhisattvaschaft
Im Theravada ist bereits jeder ein Boddhisattva, der sich um die Erleuchtung ernsthaft bemüht – auch, um anderen helfen zu können. In den meisten anderen buddhistischen Schulen, so auch im Mahayana sind Boddhisattvas allerdings Erleuchtete, die besondere Tugenden des Mitgefühls verwirklicht haben, und deshalb als Vorbild dienen können – wie etwa Avalokiteshvara, der Boddhisattva des Mitgefühls und der liebevollen Rede, der oft Blumen streuend dargestellt wird.
Verbreitung des Theravada Buddhismus
Verbreitet ist der Theravada Buddhismus bis heute vor allem in Laos, Kambodscha, Burma und Thailand, sowie in einigen Gegenden Vietnams und teilweise auch im chinesischen Yünnan. Es sind auch die Länder und Gebiete, in denen ein Großteil der Bevölkerung den Buddhismus sehr ernsthaft und mit sehr viel Hingabe praktiziert, gerade Burma gilt bis heute als ein allgemein sehr frommes Land. Das mag auch an den strengen und sehr engen Regeln liegen, die der Theravada im Vergleich zu anderen Richtungen aufstellt, weil der Bezug auf die originalen Schriften auch Aufweichungen und Kompromisse vermeidet. Lediglich der Zen Buddhismus, der einmal als Reformbewegung entworfen wurde, geht in manchen Traditionen noch strenger mit seinen Schülern um.
Bemerkenswert ist, dass man gerade im Theravada noch sehr deutlich den ursprünglichen Kern der buddhistischen Lehre erkennen kann – der klare Kern der Ausrichtung auf Befreiung vom Leiden und Anhaftungen an menschliche Ideen und Konzepte. Er ist ein schlichter, einfacher aber vollständiger Weg, der eine klare Linie weist, und das ist bei vielen anderen Richtungen heute kaum mehr der Fall. Als Bewahrer der ursprünglichen Lehre im Pali-Kanon hat der Theravada also eine wichtige Funktion im Buddhismus inne, und ermöglicht vielfach auch Schülern eine klare Orientierung – oder Neuorientierung – auf ihrem Weg.
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